Der erste Schnee ist immer magisch.
Mein Instinkt erwacht – ein zauberhafter Anblick: eine Schneeflocke groß wie eine Feder tanzt und dreht sich leicht und schwingend. Für einen Moment scheint es, als würde sie dem Abgrund entgegen gleiten, aber nein – sie bleibt kurz über dem Boden hängen und wird von einer unsichtbaren Kraft angezogen. Wieder Magie? Aber dann trete ich näher und sehe es schillern: ein hauchfeines Spinnennetz, das in der Luft glitzert und das Wasser der Schneeflocke auffängt.
Weder die Spinne hat die Schneeflocke noch die Schneeflocke die Spinne geplant – und doch gibt es dieses zufällige Pendel, das von denselben Kräften angetrieben wird wie das Zusammenspiel von Mond, Ebbe und Flut.
Wir verbringen unser Leben damit zu ergründen, wo wir enden und der Rest der Welt beginnt. Wir halten an Illusionen von Beständigkeit, Kongruenz und Linearität fest, am statischen Selbst. Verwechseln wir den Zufall mit der Wahl? Unsere Geschichte ist nicht das, was passiert ist, sondern das, was nach dem Probieren, Erforschen, dem Fehlermachen, den Zerreißproben, den Versuchen, unser Leben mit Zahlen und Fakten zu berechnen, dem Brückenabbrennen, dem Scheitern, dem Himmelhoch, dem Abgrundtief, dem Sich-Wiederfinden, den Parallelen, den farbenprächtigen Diagrammen und dem Zufall übrigbleibt.
Wo beginnt die Wahrheit, wo die Schönheit?
Wir sind unser Vor- und Nachname, unsere Einsamkeit und die Gesellschaft, unser brennender Ehrgeiz und unsere schimmernde Hoffnung, unsere unerwiderte, vielleicht geforderte Liebe. Wir leben parallel und senkrecht, in Kreisen und Kurven. Im Tanz des Lebens verweben wir uns mit anderen Leben. Aus dem Fleckerlteppich ergeben sich Hinweise auf die richtigen Fragen, und die Antworten spüren wir letztlich intuitiv – zuerst als Bauchgefühl, dann bis tief in die Knochen.
Was bleibt, wenn wir von der Illusion von Beständigkeit, Linearität und Gleichförmigkeit ablassen? Sie loslassen, um in eine neue Welt zu tauchen, die uns dazu auffordert, die Dinge anders zu tun als bisher? Entdecken wir vielleicht Orte und Gefühle, von denen wir uns bisher nicht erlaubt haben, sie zu betreten? Geister, die wir seit Generationen mitgetragen haben und jetzt erlösen dürfen? Das Zeitalter des Wartens, bis die Dinge anders „besser“ werden, ist vorüber. Jede/r ist Gestalter/in und Meister/in ihres/seines eigenen Lebens, ein Teil der Erde, kein Konsument. Wer will, dass sich das Blatt wendet, wer sich eine Zukunft wünscht, darf sich die Finger schmutzig machen. Denn aus dem Dreck wächst und blüht der Lotus. Wird an einem Strang gezogen, kann man auch an schattigen Tagen gemeinsam lachen.
Mit wem gehst du? Wohin gehst du? Wer sind deine Verbündeten und deine Begleiter?
Mit wem teilst du Leben?
Es gibt unendlich viele Arten des schönen Lebens!
Nutze die Fäden in deiner Hand, um zu spinnen und zu weben, denn oft sind es die unsichtbaren Verbindungen zwischen Ideen, den Mitmenschen einer bestimmten Zeit und eines bestimmten Ortes, der magischen Stille zwischen Innen- und Außenwelt, die große Feuer entzünden, um die Welt aus dem Herzen gemeinsam zu wandeln und neu zu gestalten.